In vielen Regionen Europas hat sich der Massentourismus zu einem handfesten Problem entwickelt. Zwar wurde das neuzeitliche Phänomen vorübergehend durch die Pandemie ausgebremst, doch nach deren Überwindung droht ein erneuter Kollaps einzelner Orte, die unter der hohen Anzahl Pauschal- und Individualreisender leiden. Das beschert den Reiseveranstaltern erhebliche Gewinne, führt den lokalen Tourismus aber an den Rand der Katastrophe. Ganz einfach, weil die Besucherzahl die Zahl der Einheimischen um ein Vielfaches übersteigt. Zum Beispiel in Südtirol, wo sich 500.000 Einwohner alljährlich 34 Millionen Touristen gegenüber sehen. In Folge dessen hat die norditalienische Provinz eine Tourismus-Bremse verhängt.
Bettenstopp soll Abhilfe schaffen
Grund ist der unvermindert starke Ansturm auf die Sehenswürdigkeiten der autonomen Urlaubsregion. So zieht die alpin geprägte Landschaft vornehmlich Gäste aus Österreich, Deutschland und der Schweiz an. Verantwortlich sind historische Besiedlungsvorgänge, die Bindungen in kultureller und sprachlicher Hinsicht haben entstehen lassen.
Man fühlt sich heimisch in dem 7.400 Quadratkilometer umfassenden Areal rund um die Hauptstadt Bozen. Entschieden zu heimisch, wenn es nach etlichen Südtirolern geht. Deren Geduldsfaden ist endgültig gerissen, weshalb man in Sachen Übernachtungsangebot die Notbremse betätigt hat. Ein Bettenstopp soll Abhilfe schaffen.
Sanfter Tourismus bedingt unsanfte Mittel
Konkret möchten die Behörden mithilfe des Masterplans „Tourismuskonzept 2030+“ das touristische Aufkommen auf ein verträgliches Maß eindämmen. Wichtigstes Instrument: Die Zahl der Betten soll auf den Richtwert des Jahres 2019 zurückgefahren werden. Seinerzeit standen 330.000 Einheiten zur Verfügung. Die Reduktion soll in erster Linie dabei helfen, Südtirol in puncto Verkehr zu entlasten. Der sanfte Tourismus sieht sich mit unsanften Mitteln in die Tat überführt, denn die Region wähnt sich am Limit – und darüber hinaus. Ein „Weiter so“ scheint unmöglich, sorgt der Massentourismus doch bereits jetzt für zahlreiche negative Begleiterscheinungen. Diese sind:
– Ressourcenverschwendung
– Naturverschmutzung und -zerstörung
– Überlastete Straßen
– Wachsende Wohnungsnot durch steigende Mieten
Gleiche Nachfrage, weniger Unterkünfte
Zu panischen Reaktionen besteht allerdings keine Veranlassung, denn die gesetzte Bettenobergrenze führt nicht zu einer Verweigerung der Einreise nach Südtirol. Jeder, der will, kann kommen, wird es aber künftig nicht mehr so leicht haben, eine Unterkunft zu finden. Im Klartext: Die Zahl der Tirol-Fans bleibt gleich, doch das Angebot verknappt sich. Was nach markttechnischen Gesetzen zu erhöhten Preisen führen dürfte.
Die gute Nachricht: Es werden keinerlei Betten abgebaut, allerdings auch keine neuen installiert – es sei denn, sie sind bereits genehmigt. Um sich eine Unterkunft zu sichern, empfehlen Tourismusexperten die frühzeitige Buchung entsprechender Liegenschaften. Dies gilt schwerpunktmäßig für Reisen während der Hauptsaison. In der Nebensaison wird auch künftig eine kurzfristige Buchung möglich sein.
Ein Hotelier klagt an
Es muss sich also niemand eine neue Lieblingsferienregion suchen, nur vielleicht seinen Aufenthalt um eine Nacht verlängern. Dies würde den Verkehr aus wissenschaftlicher Perspektive um 20 Prozent reduzieren. Resultat: Eine deutliche Entlastung der Passstraßen und Autobahnen. Selbige möchte Hotelier Michil Costa am liebsten dicht machen. „Warum schließen wir die Dolomitenpässe nicht? Weil den Verantwortlichen der Mut fehlt“, formuliert Costa Frage und Antwort in einem Satz. Hintergrund seiner radikalen Forderung ist der Dauerstau am Grödner-Joch.
Vom Sella-Joch ganz zu schweigen. Obgleich Michil Costa vom Fremdenverkehr lebt, ist ihm der seelenlose Massentourismus ein Dorn im Auge. Nicht zuletzt deshalb hat Costa ein Buch geschrieben: „Raus aus dem Rummel“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für autofreie Straßen sowie feste Betten- und Zugangskontingente. Ein sanfter „Zukunftstourismus“ soll der Wachstumsspirale Einhalt gebieten – und dabei helfen, die südtiroler Identität zu bewahren.
Bescheidenheit als neue Größe
Costas Meinung ist durchaus mehrheitsfähig, was die Wortmeldung seines Berufskollegen Markus Piccolruaz belegt. Auch Piccolruaz besitzt ein Hotel, sieht sich aber nicht auf kurzfristige Gewinne abonniert, sondern positioniert sich als nachhaltiger Unternehmer.
Als solcher denkt er keineswegs in entrückten Sphären, will seine Herberge lieber in einem überschaubaren Rahmen halten. „Warum sollen die Hotels immer größer werden?“ fragt Piccolruaz und schiebt die Antwort wie Kollege Costa direkt hinterher: „Das Konzept bringt nichts, denn wir finden keine Mitarbeiter und schaffen somit neue Probleme.“ Weshalb Markus Piccolruaz ebenfalls für ein Bettenstopp votiert – wohlwissend, dass „wir in den Teller spucken, aus dem wir essen, denn wir sind vom Tourismus abhängig“.
Wie viel mehr ist genug?
Das zweischneidige Schwert kennt Josef Oberhofer nur zu genau. Der Mann vom Südtiroler Natur- und Umweltschutzverband weiß um den Tropf, an dem zahlreiche Gastronomen und Hotelbetreiber hängen. Dennoch hat er kein Verständnis für weiter ausufernde Touristenzahlen.
Das Maximum sei längst erreicht, gäbe es doch inzwischen „Seilbahnen, die an einem Tag mehr Menschen auf die Berge transportieren als Leute in Südtirol leben“. Angesichts der Tatsache, dass 35 weitere Bahnen mit ähnlichem Kontingent geplant sind, gehen Oberhofers Mundwinkel unweigerlich nach unten. Weit nach oben zeigen sie hingegen bei Andy Varallo. Der Präsident von „Dolomiti Superski“ kann den Bau hypermoderner Seilbahnen kaum erwarten. Zudem spricht sich Varallo für breitere Pisten und größere Kunstschnee-Behälter aus. Mit Blick auf die Zukunft sei dies unerlässlich: „Die Winter-Olympiade 2026 findet im benachbarten Cortina d´Ampezzo statt.“